Pittsburgh: Geschichte aus Stahl

Früher war Pittsburgh der Stahlofen Amerikas. Als die Wirtschaft einbrach, musste die Stadt sich neu erfinden. Das hat sie geschafft. Doch wer an den richtigen Stellen sucht, kann noch immer die spannende Geschichte der Industrie entdecken.

Neue Westfälische, 26. Oktober 2019

Diesen Bericht gibt es mit persönlichen Erlebnissen und O-Tönen auch als Doppelepisode des Reisepodcasts:
Folge 1
Folge 2

Fahren mit Ausblick: Die Standseilbahn von Pittsburgh ist eine Ikone der Stadt.
© David Reid/VisitPittsburgh

Mit einem lauten Knarzen setzt sich die holzvertäfelte Kabine in Bewegung. Ein kleiner Ruck, dann flutet Licht durch die Panoramafenster, während ein armdickes Stahlseil die Kabine auf Schienen den Berg hinaufzieht. Die Standseilbahn von Pittsburgh ist eine Ikone der Stadt, früher Hauptverkehrsmittel für Pendler, heute betriebsames Relikt einer anderen Zeit.

Vor den Fenstern scheint das Panorama der Stadt mit jedem Höhenmeter gigantischer zu werden – die Skyline mit ihren Wolkenkratzern aus Glas und Beton, zu ihren Füßen zwei Flüsse, die sich vor einer Landzunge vermischen. Pittsburgh, gelegen im nordöstlichen US-Bundesstaat Pennsylvania, wirkt aus der richtigen Perspektive betrachtet ein wenig wie New York. Nur, dass die Stadt unter Touristen den Ruf eines Geheimtipps genießt und nicht an Überfüllung leidet.

Erinnerung an die Zeit des Stahl-Booms

Noch zwei Inclines, wie die Seilbahnen heißen, gibt es an den Hügeln, die das Zentrum umrahmen. In früheren Zeiten fuhren mehr als 20 von ihnen rauf und runter. Früher, das war die Zeit, als der Stahl für Amerika noch aus dem eigenen Land kam, der Blüte des Industriezeitalters. Die Ära ist vergangen – aber nicht vergessen. Das Football-Team der Stadt heißt Steelers, der Beiname Pittsburghs lautet „Steel City“.

Im Hochofen, der heute Rivers of Steel heißt, wurde früher Roheisen für die Stahlproduktion hergestellt.

Wie es damals gewesen muss, kann man noch erahnen auf dem Gelände eines alten Hochofens. Steil gen Himmel streckt sich eine fassförmige Metallkonstruktion auf dem grasüberwachsenen Gelände des Industriedenkmals Rivers of Steel. Wo heute Vogelzwitschern zu hören ist, rumorte bis 1982 fast hundert Jahre lang der Ofen, in dem Roheisen gekocht wurde – Ausgangsstoff für Stahl, das damalige Rückgrat von Amerikas Aufstieg zur Weltwirtschaftsmacht. Tausende Arbeiter schufteten in der Hitze.

„Als ich klein war, gab es noch 75 Hochöfen in der Gegend, heute nur noch einen“, erzählt Ron Baraff. Für einen Stahlarbeiter ist der 55-Jährige zu klein gewachsen, etwas Kerniges hat er dennoch mit seinem Bart und den Ohrringen. Er führt Besucher durch das Werk, in dem die Bedeutung der Branche zu erahnen ist. In einer Halle neben dem Ofen steigt noch immer der Geruch von Kohle und Rauch in die Nase, an einer Wand steht ein uralter Eisenbahnwagen. Die frühere Fabrik ist heute auch ein Museum, für das Baraff gekämpft hat.

Industriestadt im Wandel

„In Amerika gibt es die schlechte Gewohnheit, alte Dinge abzureißen und neue darüber zu bauen“, sagt er. Der Fortschrittsgeist im Land der Freiheit schaut nicht gern auf die Vergangenheit zurück. Zumal es mit der Stahlindustrie kein gutes Ende nahm: In den Achtzigerjahren starben die Werke, Tausende wurden arbeitslos. Die Steel City steckte in der Krise. Aber: „Pittsburgh hat nie aufgegeben. Die Leute hier sind so“, sagt Baraff. Und meint damit: harte Arbeit und Erfindergeist.

Paddeln vor der Skyline: Ian Brown vom Anbieter Kayak Pittsburgh macht Stadtführungen auf dem Wasser.

Aus den Resten der Stahlzeit sprießt nun eine Kreativität, die so viel unbeschwerter wirkt als die bisweilen arg verkrampften Kulturambitionen des Ruhrgebiets, das seinerseits den Abschied aus der Industrie verkraften musste. Aus einer Brücke über den Fluss Monongahela, durch die früher flüssiges Eisen floss, soll bald ein Überweg für Fahrradfahrer und Wanderer werden. Der Anbieter Kayak Pittsburgh bietet Paddeltouren über die Flüsse an, die direkt an der City vorbeiführen. Und im Strip District, dem langgezogenen Amüsierviertel, hat ein sogenannter Restaurant-Inkubator eröffnet. In der Smallman Galley kochen vier aufstrebende Köche jeweils ein Jahr lang, ohne Miete zahlen zu müssen. An ihren Theken gibt es amerikanisches Comfort Food, mexikanische Burritos, polnische und italienische Spezialitäten. Vieles ist frittiert, dem US-Geschmack entsprechend. Zumindest in der Gastronomie Pittsburghs laufen die Öfen auf Hochtouren.

In der Innenstadt, im Schatten der Wolkenkratzer, ist das Erbe der alten Zeit bestenfalls zu erahnen. Wer es entdecken will, muss sehr genau hinsehen, braucht einen kundigen Führer. So wie Valentina Scholar. Die gebürtige Südtirolerin hat zehn Jahre lang in München gelebt. Jetzt bietet sie mit ihrem Unternehmen Bike the Burgh Stadttouren auf Rädern an. „Erst dachten viele, ich könne ja nichts über Pittsburgh erzählen, weil ich von außerhalb komme. Aber das habe ich ganz amerikanisch genommen: Wo ein Wille, da ein Weg“, sagt sie.

Geschichtstour auf dem Rad

Stadtführerin Valentina Scholar fährt mit Besuchern durch die Innenstadt.

Auf ihrer Tour tritt sie dann hervor, die Ära der harten amerikanischen Arbeit, die Zeit, als wegen des dunklen Qualms schon mittags die Straßenlaternen angingen und sich die weißen Hemden der Büroangestellten in kürzester Zeit grau färbten. Die Fassade des Hochhauses, in dem einst das beste Hotel am Platze untergebracht war: heute hübscher Sandstein, damals eine rußbedeckte Wand, die die Stadt in mühevoller Arbeit freilegen musste. „Die Stadt hat den Weg aus der Krise gefunden und sie verbessert sich täglich“, sagt Scholar.

Pittsburgh, das ist auch die Geschichte von Magnaten wie dem Stahlfabrikanten Andrew Carnegie und dessen als Erzfeind stilisierten Mitbewerber Henry Frick. Die Namen der Männer sind überall in der Stadt präsent. Pittsburgh, das ist auch eine Geschichte des Kapitalismus, jedenfalls in seiner amerikanischen Variante – für Europäer ein hochspannendes Anschauungsobjekt.

Die Tour auf dem Rad führt über eine der 446 Brücken, die im Stadtgebiet über das Wasser gespannt sind. Und wer sich an dieser Stelle umdreht, der kann noch einmal auf die Skyline schauen. Die Häuser, ihre glitzernden Fassaden, ihr Spiegelbild im Fluss – das Gesicht einer Stadt, die sich den Ruß aus dem Antlitz gewischt hat.