Im US-Bundesstaat Colorado blüht eine neue Trinkkultur auf: In Weinbetrieben, Brauereien und Brennereien bringen innovationsfreudige Unternehmer den Geschmack der Region ins Glas.
Neue Westfälische, 29. Dezember 2015
Die Weinfässer liegen hinten im Lager, vorn steht das Wasser. Sean McQuaid, ein gemütlicher Typ mit offenem Hemd, greift sich ein „Anti-Kater-Wasser” aus dem Karton. Es bleibt unklar, ob er auf die Wirkung des lindernden Wässerchens setzt oder nur Durst hat. Vor der Lagertür wird die Musik lauter, die durch das frühere Logistikgebäude dröhnt. Vor einem offenen Rolltor, wo früher die Lkws hielten, stehen zwei Männer am Plattenteller. Der Sound des Weinabfüllungsbetriebs Infinite Monkey Theorem ist Elektromusik gemischt mit dem Klackern von Aluminiumdeckeln, die auf Dosen gepresst werden. Die Kombination aus Disco und Fabrik ist schwer angesagt in Denver, der Hauptstadt des US-Bundesstaats Colorado. Die Metropole ist in Sachen Coolness eine Oase auf der weiten Strecke zwischen Ost- und Westküste der USA.
Westlich von Denver beginnen jäh die Rocky Mountains mit ihrer Berghüttenromantik und den engen Felspässen, über denen nach Schauern die größten Regenbogen leuchten. Colorado zieht Besucher vor allem mit Natur an. Doch in den letzten Jahren hat sich hier ein Netzwerk an Freunden der Trinkkultur etabliert – Brauereien, Weinbetriebe, Brennereien. Für Reisende in Sachen Genuss sind sie eine Art roter Faden bei einer Rundreise durch den Staat.
Abstand zum Hochglanz
„Wein wird ja immer noch als romantisch angesehen”, sagt McQuaid. In seinem Betrieb läuft es anders. Hier füllen sie Wein von Rebstöcken in Colorado in Dosen, perfekt für den Trip ins Gebirge. Viele aber bevorzugen die Stadt selbst als Ort fürs Picknick. „Wir wollen einfach weniger fein sein”, sagt McQuaid.
In Deutschland pilgern Genießer in die Besenwirtschaft oder zur Kelterei an der Mosel. Infinite Monkey liegt an einer löchrigen Straße, die aus dem Schatten der Wolkenkratzer in ein Wohn- und Industriegebiet führt. Doch hierher pilgern die jungen, genussorientieren Einwohner, die auf Abstand zum Hochglanz der Innenstadt gehen. Vor den Rolltoren der Weinfabrik, wo die Discjockeys auflegen, wird ohne Dose ausgeschenkt.
Der Name Infinite Monkey Theorem, die Unendliche-Affen-Theorie, stammt vom einem Gedankenexperiment: Lässt man einen Affen unendlich lange an einer Schreibmaschine schreiben, dann wird er irgendwann alle Stücke von William Shakespeare aufgeschrieben haben. Natürlich nur, nachdem er ewig lange Unsinn produziert hat – wie in dem Weinbetrieb, in dem McQuaid und seine Mitstreiter sich seit der Gründung 2008 durch etliche Weinexperimente keltern und kosten mussten: „Wir haben uns selbst gefühlt wie der Affe.”
Ein Kaff voller Leben
Von der Hauptstadt ausgehend verzweigt sich ein Straßennetz durch die Berge. Die schönste Route ist der Independence Pass, auf dem man sich vorsichtig über ungesicherte Abhänge an den Felsschluchten vorbeikämpft. Auf den Nobelort Aspen folgt Carbondale, eine 6.000-Einwohner-Stadt, die den Randbezirken der Metropole Denver ähnelt – nur ohne die Batterie glitzernder Hochhäuser nebenan.
Man könnte das ein Kaff nennen. Mit dem Unterschied, dass sich hier Restaurants und Bars aneinanderreihen, an deren Tischen Gäste jeden Alters sitzen, vor allem aus den jüngeren Jahrgängen. Ein Lokal namens Marble liegt gleich am Ortseingang, gleichsam gelegen in einem früheren Fabrikgebäude. In den hinteren Räumen steht eine deckenhohe Destille, durch die sämtlicher Wodka und Whisky läuft, der hier in die Gläser kommt.
Vorne, auf der Theke, stehen kleine Würfel aus Glas, in denen Goldfische ihre Runden drehen. Carey, der Barkeeper, musste erst in der Nacht zuvor einen Zecher herausbefördern, der es für witzig hielt, den Fisch aus dem Glas in seinen Drink umzusiedeln.„Ich liebe Wodka”, sagt Connie Baker, die Chefin der Kleinst-Brennerei. Vor fünf Jahren hat sie gelernt, wie das geht mit dem Schnaps destillieren. Jetzt wandelt die zierliche Frau zwischen den riesigen Holzbottichen umher, in dem die Maische lagert, Rohstoff für Wodka-Liköre. „Wir probieren jeden Tag etwas Neues aus”, erzählt Baker – was gut ist, das füllen sie in Flaschen zum Verkauf ab. Was durchfällt, gibt es nur in der angeschlossenen Bar.
Nicht nur subtile Aromen
Die Menschen legten Wert auf Zutaten aus dem Ort oder zumindest aus Colorado, sagt die Unternehmerin. Sie wissen vermutlich, dass es andernorts auch nichts Besseres gibt. Einer, der eigens deshalb hergekommen ist, ist der Weinbauer Lance Hanson. Er ist vor Jahren aus Kalifornien hergezogen. Sein Weingut, Jack Rabbit Hill, liegt auf einem felsigen Plateau in der Nähe von Hotchkiss, noch weiter westwärts. Hanson, ein ehemaliger Software-Entwickler, hat zusammen mit seiner Frau einen Komplett-Betrieb aufgebaut: Rot- und Weißwein, Schnaps, Apfelwein, alles nach biologischen Kriterien hergestellt.
Der Gin, den Hanson in seiner Distille brennt, ist mit Lavendel versetzt. Das Kraut ist derzeit schwer im Trend wegen seiner ätherischen Öle, Geruchs und Geschmacks. Selbst in Spuren dringt der duftige Lavendel durch den Alkohol. Es müssen ja nicht immer subtile Aromen sein. Der Geschmack Colorados ist leicht herauszuschmecken.