Chiemsee: Bayerns blasses Wahrzeichen

Wer Bayern so richtig kennenlernen will, kommt an der Weißwurst nicht vorbei. Im Chiemsee-Alpenland können Besucher sich dem kulinarischen Brauchturm bei einem Kurs nähern – und eigene Würste herstellen.

Neue Westfälische, 21. März 2020

Diesen Bericht gibt es mit persönlichen Erlebnissen und O-Tönen auch als Episode des Reisepodcasts.

Herr der Würste: Metzger Hubert Lohberger lässt Gäste bei der Herstellung mitmachen.

Die Weißwurst, sie ist eine wahre Diva unter den Fleischerzeugnissen. Mühen muss sich, wer ihr ohne Massaker auf dem Teller die Haut abziehen will. Nur frisch schmeckt sie gut, ein wenig sollte sie sich nach außen wölben, wenn man sie anschneidet, ihr Darm muss noch glänzen, wenn sie auf den Tisch kommt.

Nein, einfach hat man es nicht mit diesem urbayerischen Stück Esskultur. Und trotzdem kämpft Metzgermeister Hubert Lohberger aus dem oberbayerischen Rosenheim Tag für Tag für sie. Mischt Magerfleisch vom Schwein und vom Jungrind oder Kalb, getoppt von einem orientalisch anmutenden Gewürzbouquet – Kardamom, Petersilie, Zitrone, Ingwer. In der blassen Anmut ihrer Majestät, der Wurst, verbirgt sich eine von Unbedarften regelmäßig unterschätzte Aromenfülle.

Also hat sich Metzger Lohberger zum Botschafter für das weiße Kulturgut gemacht, hält regelmäßig Kurse zum Weißwurstmachen ab. Spannend ist das schon, weil er das Genom der Wurst aufzuschlüsseln weiß und schildert, wie das Eiweiß aus dem Fleisch gelöst werden muss, damit es Fett und Wasser binden kann, um dem Produkt eine cremige Konsistenz zu geben. Einen „fluffigen Biss“ müsse sie haben, ein „Häuberl“ bilden beim Anschnitt – und, klar, ganz frisch müsse sie sein.

Nur noch zwei Metzger sind übrig

Also teilt Lohberger Schürzen, Schuhüberzieher und Haarnetze aus und bittet an den Kutter – eine Art Riesen-Fleischwolf, in dem rohes Fleisch zur weichen Masse gehäckselt wird, mitsamt der Gewürze und reichlich Eis gegen die Überhitzung. Ein reißendes metallisches Rattern begleitet die Prozedur und ergibt das bekannt farblose Brät, das danach in Schweinedärme gepresst wird. Einsatz für die Kursteilnehmer, die mit dem wurstigen Handwerk bisweilen ihre Schwierigkeiten haben.

Routine hingegen für den Meister, der zugleich nicht müde wird, die Vorzüge seiner Zunft zu loben: „Wir haben einen Namen, ich stehe persönlich gerade dafür. Nicht wie bei anonymen Marken im Lebensmittelmarkt.“ Als sein Vater die Metzgerei eröffnete, 1961, gab es noch 36 Betriebe, die selbst schlachteten. Heute sind es zwei.

Dementsprechend prominent stellt die Tourismusregion Chiemsee-Alpenland Handwerksvertreter heraus, die sich auf alte Werte besonnen haben. Da wäre Simon Fink, der das Finkennest in Zillham betreibt – eine Bäckerei nach Bio-Standard, für das der Inhaber sämtliches Getreide althergebrachter Sorten selbst anbaut. Oder Sepp Stein, der im Ein-Mann-Betrieb seinen Kräuterlikör namens Odl im Dörfchen Amerang bereitet.

Weißwurst – ein fleischgewordener Mythos

Und dann ist da eben noch Meister Lohberger, der beim Handwerken so gut erzählen kann von den Mythen, die sich um die Weißwurst ranken. Bis die Kirchenuhr 12 Uhr schlägt, soll sie verzehrt sein, so will es der Brauch. Angeblich, weil die Frischware früher mangels Kühlkette zu schnell verdarb. Oder aber, diese Version präsentiert er auch, weil die Wirte sie nach der Mittagszeit nicht mehr servierten, damit vespernde Handwerker das Lokal zugunsten zahlungskräftigerer Kundschaft verließen.

Was genau stimmt und was nicht, so ist’s den Mythen eigen, kann der Mensch des 21. Jahrhunderts nicht mehr ermitteln. Aber Hand kann er noch anlegen. Die Würste, je nach Fingerfertigkeit gut in den Darm gefüllt und geschnürt, gibt Lohberger jeweils mit Namensschild des Hobbymetzgers in einen Bottich mit 80 Grad heißem Wasser, wo sie dem Verzehr entgegengaren. Und wehe dem, der die Weißwurst daheim ins siedende Wasser scheucht! Aufplustern wird sie sich im Zorne, um schließlich vor Wut zu platzen. Denn sie ist nun einmal eine wahre Diva.