Sauna, Schnee und Wälder? Das ist nur eine Seite Finnlands. Im Sommer wandelt sich das Land zum Ziel für Meeresliebhaber. Eine Reise entlang der Südküste zeigt, wie sehr das Wasser den Lebensstil der Finnen prägt.
Neue Westfälische, 24. August 2013
Der Kapitän nimmt die lange Runde, einmal um Suomenlinna herum. Die Inselgruppe beherbergt ein altes Marinefort. In der Ferne werden die Mauern sichtbar, die kurz über der Brandung beginnen – so zusammengesetzt, dass die Natursteine genau ineinanderpassen und auch ohne Mörtel halten würden. In einem Teil des Forts trainieren Kadetten, der andere ist ein steinernes Zeugnis des Einflusses, den das Meer auf Finnland hat. Hier findet sich ein Dock, in dem Segelschiffe restauriert werden. Die Schweden bauten es im Krieg gegen Russland, mit ihrer Unabhängigkeit übernahmen es schließlich die Finnen.
Nicht nur zu Kriegszeiten hat die See das Leben in Finnland bestimmt – jedenfalls an der Küste, fernab von Lappland. Hier im Süden räumt ein Sommerurlaub mit Klischees auf: die Finnen als Freaks am Rande Europas, die sich ausziehen, in einer siedend heißen Holzhütte selbst matern, um sich zum Abschluss des masochistischen Treibens im Schnee zu wälzen? Das sind sie nicht. Nicht nur.
Pastellfarbenes Rauma
Besonders lebendig ist die Geschichte in einem großen Holzhaus nahe der Stadtkirche. Kerttu Arvo greift nach den kleinen Holzstäben, die neben ihr liegen. Die sogenannten Klöppel sehen aus wie große Dauerlutscher, am unteren Ende sind Leinenfäden aufgewickelt. Die 74-Jährige wirft sie zwischen den Händen hin und her, spannt die Fäden, greift nach einem neuen Klöppel und wirft einen anderen ab. Sie stellt Spitze her – die Ziermuster, die am Rande von Deckchen und Kleidern befestigt sind. Was in der Textilindustrie längst Maschinen erledigen, ist in Rauma ein Handwerk, das wohl so alt ist wie die Häuser.
Mit der Fähre in die Einsamkeit
Aus der Atmosphäre der Stadt ist es nicht weit, um in die Abgeschiedenheit des dünn besiedelten Finnlands einzutauchen – indem man eine Nacht fast so einsam lebt wie ein Leuchtturmwärter. Mit der Fähre geht es auf Kylmäpihlaja – die westlichste Insel des Archipels vor Rauma, gerade mal so groß wie gut zehn Fußballfelder, letzte Station vor der Meerespassage nach Schweden.
In dem Leuchtturm, der vor über 60 Jahren auf das Felsplateau gesetzt wurde, übernachteten bis Anfang des Jahrtausends Besatzungsmitglieder von Schleppern, die große Schiffe durch die schmalen Rinnen des Archipels brachten. Aufstieg durch das enge Treppenhaus des Turms. Zehn Stockwerke, direkt unter dem Leuchtfeuer, unablässig pfeifender Wind. Wie versprenkelt der Archipel ist, lässt sich am besten von hier aus sehen. Die Eiszeit hat ihn geformt. Kylmäpihlaja streckt seine felsigen Arme ins Meer. Rostfarbene Moose, Gräser und Büsche überziehen die Steine.
Der Turm ist heute ein Hotel – in der Ausstattung so karg, wie die Schlepperkajüten wohl damals schon waren, dafür kann man aus dem Fenster praktisch nach den Küstenseeschwalben greifen. Sie nisten auf Kylmäpihlaja, darum sind weite Teile der Insel für Besucher gesperrt – das hohe Kreischen der Vögel wirkt wie ein Warnruf.
Erst abends kommen sie zur Ruhe. Wer das Licht des Turms aufblitzen sehen will, muss bis 23 Uhr warten. Nur zögerlich wird es dann dunkel, und selbst in der tiefsten Nacht schimmert stets etwas Licht über der Insel. Sommernächte hoch im Norden sind kurz.